Bericht der Neuen Luzerner Zeitung 2001

Dieser Artikel ist noch aus meinen Anfängen als Ladeninhaber. Inzwischen floss viel Wasser die Reuss hinab. Ich konnte mich etablieren, hatte zwei Fernsehauftritte („Quer“ und „Aeschbacher“) und natürlich hat sich viel verändert. In meinem Leben. In meinem Alltag. Aber es macht Freude, diesen Artikel zu lesen, der damals ein ziemliches Echo auslöste und dank dem die Zwischenwelt rasch bekannt wurde. Viel Freude beim Lesen.

Bericht in der Neuen Luzerner Zeitung, 26. Oktober 2001
Wilhelm Haas, Luzern

VON REGULA WEBER

«Magie ist kein Hokuspokus»

Dieser Artikel ist noch aus meinen Anfängen als Ladeninhaber. Inzwischen floss viel Wasser die Reuss hinab. Ich konnte mich etablieren, hatte zwei Fernsehauftritte („Quer“ und „Aeschbacher“) und natürlich hat sich viel verändert. In meinem Leben. In meinem Alltag. Aber es macht Freude, diesen Artikel zu lesen, der damals ein ziemliches Echo auslöste und dank dem die Zwischenwelt rasch bekannt wurde. Viel Freude beim Lesen.

Bericht in der Neuen Luzerner Zeitung, 26. Oktober 2001
Wilhelm Haas, Luzern


Für eine bessere Welt

Die «Zwischenwelt» ist nun seit knapp zwei Monaten offen und rentiert noch keineswegs. «Mit meinem Laden habe ich mir einen Traum erfüllt», sagt Wilhelm Haas. Um diesen zu wahren, arbeitet er zu 60 Prozent als Barkeeper und DJ im «Chakra», dem kleinen Untergrund-Club im Hotel Drei Könige.

Dreamdancer – ein naiver Weltverbesserer, ein Traumtänzer eben? «Es kümmert mich nicht, was die Leute in mir sehen. Manche bezeichnen mich auch als Neo-Grünen. Solange man mir meinen Weg lässt, bin ich zufrieden. Und wenn ich dadurch Gutes nach aussen tragen kann, ja, dann hoffe ich schon, die Welt ein wenig zu verbessern.» Sagts, lächelt, schenkt Tee nach und bringt eine neue Duftmischung zum Räuchern.

Pünktlich zur importierten Gruselnacht Halloween sind Geister und Hexen omnipräsent. Doch jenseits aller Kostüm- und Kürbispartys leben sie unter uns: Hexen von heute. Ein Porträt.

Die Hexe trägt Jeans und T-Shirt, einen silbernen Ohrring und ein trendiges Bärtchen. Ihresgleichen kennen sie unter dem Namen Dreamdancer. Freunde sagen liebevoll Dreamy. Oder einfach Willie. Wilhelm Haas, 35 Jahre alt, ist eine moderne, bekennende Hexe. Sein Reich ist die «Zwischenwelt», ein kleiner Laden an der Weggisgasse, mitten in Luzerns Altstadt (Anmerkung von Dreamdancer: Der Laden befindet sich nun in der Bruchstrasse 47, 6003 Luzern)

 Sphärische Flötenklänge tönen hier aus den Boxen einer Stereoanlage. In der Luft liegt ein schweres Gemisch aus dem Duft verschiedener Kräuter, ätherischer Öle, wenig Weihrauch. In Holzregalen an den Wänden findet sich alles, was ein Hexenherz begehrt: Tarotkarten, Bücher, Symbolschmuck, getrocknete Kräuter und Harze zum Räuchern – säuberlich geordnet, von A wie Aloa bis Z wie Zedernholz.

Jedem das Seine

Mit vermännlichten Bezeichnungen wie Hexer, Hexerich oder gar Hexenmeister kann Wilhelm Haas nichts anfangen. «Diese Wörter implizieren für mich einen typisch männlichen Machtanspruch», erklärt er in seinem breiten Wiener Dialekt. Dies vertrage sich nicht mit seinem «spirituellen Weg». Ausserdem sei das Wort Hexe im Grunde geschlechtsneutral, lasse es sich doch auf das althochdeutsche «hagazussa» zurückführen: ein sich auf Zäunen aufhaltendes Wesen, ein Wesen an der Grenze also, zwischen den Welten.

Wilhelm Haas zählt sich zu den Wicca-Hexen, einer Gruppierung von modernen Heiden, die sich auf verschiedene überlieferte Mythologien, Bräuche und Rituale beruft, insbesondere auf solche keltischen Ursprungs. Zu den höchsten Werten der Wicca-Hexen gehören Selbstbestimmung, Toleranz und Rücksichtnahme. «Jeder soll seinen ganz persönlichen Weg finden», sagt Wilhelm Haas. «Tu, was du willst, aber schade niemandem» steht als Leitspruch über der Ladentür.
In der «Zwischenwelt» sind denn auch alle willkommen. Gleichgesinnte, Neugierige, Freunde, Fremde. Jeden Besucher begrüsst Dreamdancer mit demselben herzlichen «Hallo». Wer etwas Zeit mitbringt, wird zu einer Tasse Tee eingeladen. Und zum Plaudern.

Willhelm Haas spricht gern, viel, schnell, aber überlegt und präzis. Zuweilen beginnt sein Fuss unter dem Tisch in irrem Tempo zu wippen, als ob es ihn nervös mache, dass seine Gedanken um ein Vielfaches schneller fliessen, als seine Sprache sie mitzuteilen vermag. Er lacht: «Ich weiss, ich bin ein Zappelphilipp.»

Neue alte Spiritualität

Schon als Kind war Wilhelm Haas, aufgewachsen in einem katholischen Wiener Elternhaus, von allem Magischen fasziniert. Auch von der Mystik und den Ritualen, die er in der Kirche erfuhr. «Doch je älter ich wurde, desto mehr verlor ich meine Spiritualität aus den Augen», sagt er. Als er Anfang der Neunzigerjahre in die Schweiz kam, verfolgte er in erster Linie berufliche Ziele. Damals träumte er von einer Musikerkarriere. Er spielte und sang in verschiedenen Bands, organisierte die ersten Techno-Raves in Luzern, schrieb nebenbei für die «Luzerner Zeitung» Musikberichte. Später wechselte er in die Gastroszene, führte den «Flora-Club», dann das «Adagio».

«Irgendwann hatte ich von dieser oftmals oberflächlichen Szene die Nase voll», erinnert er sich. Es zog ihn nach Florida, wo er seine Unzufriedenheit hinter sich zu lassen hoffte. Dies gelang ihm nicht. Bald schon hatte er Heimweh nach Luzern. Doch an Stelle des grossen Glücks fand er in Amerika die Wicca-Kultur, die dort als Religion akzeptiert ist. «In ihr sah ich all das ausformuliert, was mich schon immer im Innersten bewegt hat.»

Vorurteile und schwarze Schafe

Dreamdancer ist in guter Gesellschaft: Hexe sein ist im Trend, weltweit. Im Internet wimmelt es geradezu von Wicca-Homepages und Hexen-Foren. «Viele Hexen tauschen sich im Netz aus, weil sie dort ihre Anonymität wahren können», meint Wilhelm Haas. Wer sich öffentlich als Hexe bekenne, müsse mit Unverständnis und Anfeindungen rechnen. Denn das Bild von der Hexe als hässlichem, bösem, altem Weib, das mit dem Teufel im Bund steht, sei nach wie vor in den Köpfen der Menschen zementiert – «ein Bild, das aus einem uralten Volksglauben an Märchen- und Sagenhexen hervorgeht und das die mittelalterliche Kirche für ihren Kampf gegen Ketzerei verstärkte und benutzte», weiss Wilhelm Haas. Mit seinem Wissen über Kirchen-, Hexen- und Heidengeschichte begegnet er auch jenen, die moderne Hexen mit Satanisten verwechseln: «Satan ist eine Erfindung des Christentums. Wie sollten wir Heiden, die diese Figur in unserer Tradition gar nicht kennen, uns mit ihr in Verbindung bringen?»

Also haben Hexen von heute nur Gutes im Sinn? «Natürlich gibt es auch schwarze Schafe, die unter dem Namen Wicca oder Hexe Unsinn treiben. Doch schwarze Schafe gibt es überall.» Wieder wippt Dreamdancers Fuss in atemberaubendem Tempo, und seine Hände suchen mit heftigen Gesten seine Argumente zu stützen. Er wolle mit seinem «spirituellen Weg» nicht missionieren, betont er, doch er rede offen darüber, um falschen, negativen Hexenbildern entgegenzuwirken.

Meditation statt Liebeszauber

Vorgefertigte Bilder fegt Wilhelm Haas auch mit seinem Äusseren weg, das vielmehr den DJ erahnen lässt als ein Dasein als Hexe. Nichts Übernatürliches, nichts Rätselhaftes strahlt er aus. Einzig die stahlblauen Augen mögen, je nach Lichteinfall, ein wenig irritieren. Kann er denn wenigstens zaubern?
«Ich glaube an die Magie», sagt er. Für ihn sei Magie aber nichts Abgehobenes, kein Hokuspokus, vielmehr eine konzentrierte Form von Energie. Jeder könne lernen, Energien zu steuern: «Auch Christen üben in gewissem Sinne Magie aus, wenn sie beten.»

Dreamdancer steuert seine Energien vor allem durch persönliche Rituale und Meditation – was geheimnisvoller tönt, als es ist: Je nach Seelenlage lässt er bestimmte Räuchermischungen abbrennen. Täglich führt er ein kleines «Lichtritual» durch, entzündet Kerzen für die Götter, die er verehrt. Und um mit sich selbst ins Reine zu kommen, sucht er Kräfte in der freien Natur, geht im Wald spazieren.

«Magie erfordert Vorsicht, Wissen und Respekt», sagt Wilhelm Haas, «sie darf nicht manipulieren.» Jungen Mädchen, die in der «Zwischenwelt» nach irgendwelchem Liebeszauber verlangen, rät er davon ab. Stattdessen empfiehlt er ihnen, das eigene Selbstbewusstsein zu stärken, zu meditieren. «Nicht wirklich geschäftsförderlich», kommentiert er schmunzelnd.